
Ich schaue auf die Bilder, die wir damals in Wien gemacht haben. Strudelhofstiege, Freud-Museum, Kahlenberg – und ich erinnere mich an unsere Wege durch die Stadt. Hinunter in die Gruft der Habsburger, zu den kolossalen Särgen, umgeben von Touristenheeren, in die andächtige Finsternis des Stephansdoms. Eine junge, schöne Frau sehe ich auf diesen Aufnahmen, ein Bild, das mir heute ins Herz schneidet.
Die Wege trennen sich. Jeden Tag ein Stück mehr. Und doch bleibt das Paradox, dass die gemeinsame Zeit im Rückblick immer so nah ist, als wäre sie kaum vergangen: Ein Winken der Freude, ein gemeinsames Lachen, geteilte Verzweiflung. Erinnerungen sind eigentümliche Zeitmaschinen: Sie heben die Distanz auf und lassen uns glauben, wir müssten nur den Kopf zur Seite drehen, um den anderen wieder zu sehen.
Vielleicht gibt es so etwas wie einen Plan, vielleicht auch nicht. Wir begegnen einander, gehen eine Strecke zusammen, reifen daran, ohne je zu begreifen, warum es gerade so und nicht anders kam. Warum mit dieser und nicht einer anderen Person.
Wien war an jenen Mai-Tagen eine Prüfung in Geduld. Wir liefen, schwitzten, suchten das Hundertwasser-Museum, das sich nicht zeigen wollte, trotz Stadtplan und Navi, diesem damals noch unheimlichen Gerät, das uns versprach, nie wieder verloren zu gehen – und uns doch die üblichen Irrwege nicht ersparte.
Erinnerst Du Dich noch an den Geistlichen, der sich wie abgeschoben fühlte, verbannt aus Frankreich und England? „Auf mich wartet nur noch die Gruft.“ Wir fanden dies kokett und fühlten uns an Freud erinnert, der in Zeitgemäßes über Krieg und Tod (1915) hervorhebt, dass es unmöglich sei, sich den eigenen Tod vorzustellen. Stets sei man als Zuschauer dabei, denn im Unbewussten sei jeder von seiner Unsterblichkeit überzeugt.
Eines Tages wirst du in deiner Gruft liegen und ich in meiner. Wir werden nicht beieinander sein. Aber vielleicht wird es ein Wiedersehen geben – leichter und befreiter. Ein Lachen wie damals über die lächerlichen und zugleich so ernsten Dinge, die wir mit unseren Körpern hier ertragen müssen. Wie alle anderen.
Text: mee