Antwort in Amsterdam

Foto: mee

Das jüdische Viertel: war es wirklich so leer, wie ich es in Erinnerung habe? Ohne Türen, ohne Eintritt? Bestimmt war es nicht mein Amsterdam von früher – fröhlich und verrucht, locker und geheimnisvoll. Eher ein Schmelztiegel der Kolonien. Max Havelaar schien zwischen den Häusern zu stehen, ein unsichtbarer Zeuge. Fahrräder, Kroketten, Ausstellungen. Ein Unbekannter namens Pieter gravierte unsere Namen in Rot und Blau auf kostbares Papier. Ein Geschenk, ohne Grund – und deshalb umso bedeutsamer.

Es war September, noch warm. Auf der Wiese vor dem Rijksmuseum spürten wir die Hoffnung, dass alles nach der Pandemie gut werden könnte. Jenseits der Menschenmassen, in den leisen Grachten, schien es, als könnten wir uns neu in unser Leben verlieben. Die Fotos, die wir voneinander machten, zeugen sie nicht davon? Aufbruchsgeist, Erwartung. Ich erinnere mich auch an eine steile Treppe, eine Katze, ein Gespräch über Hermetik. Bücher. Später flanierten wir durch einen Stadtteil, der mir vor allem deshalb in Erinnerung blieb, weil auf den Straßen unzählige Muslime im Gebet verharrten – so viele Männer, wie eine Armee. Ich versuchte mir Allah, ihren Gott, vorzustellen und schloss von ihrer Haltung und Unterwürfigkeit auf einen strengen Oberbefehlshaber. Missionsbefehle sind gefährlich, wenn sie Landkarten meinen.

Bei Joep, etwas außerhalb der Stadt, hörten wir Musik, seine neueste Komposition. Aßen Spaghetti und sprachen über Fernando Pessoa, Hildegard von Bingen und ein Buchprojekt, das uns bis heute nicht loslässt. Im Winter, irgendwann zwischen zweiter und dritter Welle und dem Beginn des Ukrainekriegs, fingen wir damit an. Ich habe dabei viel gelernt. Nicht nur über Musik, sondern auch darüber, schöpferisches Arbeiten als Prozess zu begreifen – nicht zu schnell auf ein fertiges Produkt zu schielen. Und natürlich verdanke ich Joep auch die Theorie der impossible women: manche Frauen als Muse zu erkennen, nicht als Geliebte. Das musste ich in Holland lernen. Nirgendwo sonst. Ein weiterer Schlüssel: sich vom Dogma hin zur Suche bewegen.

Wir waren auch zu dritt am Strand. Er schwärmte von den Tieren, während wir die wilden Wellen, den weiten Himmel und die Drachen im Wind bestaunten. Auf dem Parkplatz, als A. uns nicht hören konnte, sprach er von Heirat, von einem „Zeitfenster“. Das überraschte mich. Dabei klang er wie ein Prophet. So wurde Amsterdam doch noch zu einer Stadt der Antwort und Klarheit.

Text: mee

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