Deutschland-Ticket (VII)

Foto: mee

Die wichtigste Fähigkeit von Künstlern und Journalisten ist Pünktlichkeit. Wer es nicht schafft, deutlich früher bei einer Veranstaltung zu sein, hat in diesen Berufen keine Chance. Mag er auch in anderer Hinsicht glänzen.

Heute hätte es mir zum ersten Mal in fast 30 Berufsjahren passieren können, dass ich unpünktlich zu einem Termin komme. Trotz gewohnter Disziplin. Stop-and-go bei der Straßenbahn in Berlin, Verspätungen bei der Bahn, Stop-and-go in Magdeburg. Es war knapp. Doch dank eines freundlichen Busfahrers, der mich mit seiner genauen und geduldigen Wegbeschreibung quasi sprachlich vor die Tür der multikulturellen Begegnungsstätte gefahren hat, zu der ich musste, ging es gut. Mit dem Schrecken davongekommen. Morgen, wenn der bundesweite Streik richtig losgeht, bleibe ich auf dem sicheren Fußgängerweg. Vielleicht sperre ich mich auch in mein Zimmer ein.

Die Geflüchteten aus Syrien, dem Irak und anderen Herkunftsländern können über solche Probleme vermutlich nur lachen. Sie haben ganz andere Sorgen, andere Erfahrungen hinter sich: Familienzusammenführung, Pass-Ersatznot, Medikamente. Es ist gut, dass religiöse Organisationen diesen Menschen in Not helfen.

Leider habe ich in all der Hektik keine Zeit gehabt, die Stadt Magdeburg zu sehen. In der Straßenbahn, in der ein verwirrter Deutscher, der wie Catweazle aussah, wild umhersprang und über den Lauf der Welt schimpfte, war der Blick zu eingeschränkt.

Ich musste während dieses Ausfluges oft an meinen Vater denken, der als Kind im Krieg mit seiner Mutter und ein paar Tanten nach Magdeburg flüchtete und dort einige Wochen verbrachte, weil es im Ruhrgebiet nach britischen Bombenangriffen zu heiß geworden war. So wiederholt sich alles – nur anders.

Text: mee ©

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