
Die Rolltreppe schoss steil in die Tiefe, wie ein schräg gestellter Zeiger, der in eine andere Zeit deutete. In der Prager Metro, irgendwo zwischen Malostranská und Hradčanská, senkten sich die Gespräche, das Licht flackerte für einen Moment – und ich erinnerte mich an die Stimme von Václav Havel und den Mut der Charta 77.
Damals, im Sommer 2012, war alles erlaubt. Die Touristen drängten sich auf der Karlsbrücke, hielten Eisbecher in die Kameras oder warteten auf das Schauspiel der astronomischen Uhr, als müsste sich die Welt neu erfinden. Wir aber fuhren unterirdisch. Schweigend, schwitzend. Von der Altstadt zu den Gräbern derer, die nicht nur Geschichte geschrieben, sondern sie durchlitten haben.
Du hattest mit der Dir eigenen Eleganz, einer Mischung von Spontanität und Strategie, die günstige Unterkunft in Schlossnähe gefunden – mit Blick auf die Stadt, die wie ein Bühnenbild wirkte: das Jesuskind mit den gläsernen Augen, die goldene Gasse mit Touristenstaub, Kafka als Souvenir. Und doch: es gab trotz der vielen glänzenden Dächer und Kuppeln, die vom Sonnenlicht geküsst wurden, auch Schattenplätze. Risse. Als wir auf dem Friedhof standen, vor Havels Grab, war es ebenso kühl wie tröstlich. Der Wind strich so eindringlich über die Steine, als wollte er seinen Namen noch einmal aussprechen.
In mir klang die Geduld des Dramatikers nach, seine stille Entschlossenheit. „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht“, hatte er gesagt, „sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat – egal, wie es ausgeht.“ Ich schrieb es mir auf, wie man etwas Heiliges notiert, das einem zugeflüstert wird. Oder habe ich es erst viele Jahre später gehört?
Als wir wieder auftauchten – aus der Tiefe der Metro ins gleißende Licht –, schien alles wie immer. Die Gassen voller Stimmen, die Uhr spielte ihr mechanisches Theater. Und doch spürte ich: die Geschichte schläft nicht. Sie geht voran und träumt. Vielleicht von alten Parolen in neuem Gewand. In jenen Schichten, wo sich Erinnerung und Ahnung berühren.
Text: mee