
Die Fahrt begann wie ein Übergang, fast beiläufig: das Auto, der Brenner, der erste Espresso an der Raststätte. Doch etwas störte ihn. War es der Rost an den Leitplanken? Er schimmerte wie ein Zeichen. Zerfall, verborgen unter Asphalt und Versprechen. Die Fördermittel hatten daran nichts geändert. Wie konnte das sein? Diese Frage blieb und schwebte zwischen den Hügeln und dem Himmel, als wären beide sich fremd geworden.
Padua. Enge Gassen, mildes Licht. Sie tranken Wein, aßen in einem kleinen Lokal, das wie zufällig gewählt schien. Sie sprach, er hörte zu. Und doch: Der Raum zwischen ihnen dehnte sich. Wie ein stummer Spalt – trotz der vielen Ähnlichkeiten. Sogar am Grab des heiligen Antonius, wo andere Nähe ersehnten, blieb dieser Abstand. Oder bildete er sich das nur ein?
Vielleicht war es seine Schuld. Die Schuld eines Mannes, der sein inneres Echo verloren hatte – den Schriftsteller, und der stattdessen nur noch leere Worte spürte, wie die Hülle seiner eigenen Stimme.
Assisi: Die Unterkirche empfing sie mit Kühle und Dunkelheit. Sie knieten. Ohne Worte. Der Weg hinaus war steil, grell, als wollten die Steine selbst nichts mehr sagen. Im kleinen Café dann wieder die Welt: Pizza, Gläserklirren, ein Versuch, Nähe zu spielen. War das alles, was blieb? Versuche?
Die Fahrt nach Rom – erneut Bilder des Zerfalls, aber anders. Ein Erdbeben hatte die Gegend erschüttert. Die Straßen rissen auf, die Tunnel wirkten tiefer als gewohnt. Oder sah er nur genauer hin? Angst flackerte auf – die Furcht, lebendig begraben zu werden. Wer kennt die Launen der Götter? Die der Erde? Ihre Worte – „Jestem w rękach Bożych“ – klangen wie eine Trost. Oder wie eine Flucht.
Rom: ein Grab, ein Denkmal, ein paar hastige Gebete. Kein Moment, der sich einprägte. Kein Riss im Himmel. Sein Herz war woanders – bei jener Frau, die ihn in seiner Erinnerung geweckt hatte. Aus der maschinellen Routine. Der Erstarrung. Mochten sie auch für andere wie das perfekte Paar wirken. Die Menschen sehen nur, was sie sehen wollen, dachte er. Sie lieben es, sich täuschen zu lassen. Er auch?
San Giovanni Rotondo. Ihn zog es dorthin, wo der stigmatisierte Heilige lag. Scheinbar unverwest. Fast lebendig. Aber still. Er wollte ihn rütteln, aufwecken, sich selbst mit ihm aus der Starre ziehen. Doch da war nur Leere – und plötzlich erinnerte er sich an den Satz von Simone Weil: „Die Gnade erfüllt, aber sie kann nur da eintreten, wo es eine Leere gibt, durch die sie empfangen werden kann, und sie ist es auch, die diese Leere schafft.“
Sie traten hinaus in die Stadt. Girlanden, Farben, Stimmen. Ein Fest: Sommerende, Herbstanfang. Er wusste nicht mehr, wer er war. Noch weniger, wer er hätte sein sollen. Wie lange kann man auf dem falschen Weg gehen, ohne es zu merken? Die Zeit hielt einen nicht an. Niemand hielt einen an.
Die Rückfahrt am Meer entlang: flüchtige Bilder, wie aus einem anderen Leben. Er tankte irgendwo. Es roch nach Benzin und Kindheit. Vor seinen Augen liefen alte Filme ab – Mastroianni, Komödien, Melancholie, Tod. Vor den Alpen hielten sie an. Ein Hotel, fremde Wände. Sie sahen sich Bilder auf dem Smartphone an. Was ließ sich festhalten? Gedanken nicht. Gefühle noch weniger.
Dann: Österreich. Blaulicht. Ein Unfall. Verletzte. Keine Stigmata – aber Stille. Warten. Sie fuhren langsam vorbei. Sagten nichts. Dachten dasselbe – oder auch nicht.
Drei Monate später brach er sein Versprechen. Zumindest glaubte er das.
Der Schriftsteller kehrte zurück. Doch das Schuldgefühl war längst da – und es blieb. Viel zu lang für sie beide.
Text: mee