Es sind die ersten Schritte. Draußen. Auf der Straße. Nach der Diagnose vor einer Woche. Ich gehe langsam Richtung Park. Blicke auf Schneebedeckte Autos am Straßenrand, die Vögel, die durch die Skelettartigen Baumkronen hüpfen.
Winter. Kalte Luft. Ich ziehe die schwarze Mütze tiefer über die Stirn. Ich mag die Kälte, die Frische. Klarheit. Die langsame Bewegung ist jetzt das Richtige für meinen Körper.
„Es wird dem Immunsystem guttun“, hatte der Arzt am Telefon gesagt, und genau dieses Immunsystem als ausschlaggebend beschrieben dafür, dass ich die Schlacht gegen das Virus gewonnen habe. Viel schneller als vor drei Jahren. Ohne Lungenentzündung. Ohne Einweisung ins Krankenhaus. Ohne künstliche Beatmung. „Die Wächterzellen haben sofort reagiert und die Lunge verteidigt. Sie sind nicht überrumpelt worden wie Anfang 2021. Sie haben ein gutes Gedächtnis.“
Zwei Frauen mit Hunden kommen mir entgegen. Handwerker laden Kisten in einer alten VW-Kutsche ab. 24-Stunden-Service. Obwohl es nur vier Tage waren, die ich auf der Matratze, abgenabelt von der Welt, verbracht habe: mein Hunger auf Realität ist riesig. Alles ist interessant. Aufregend. Auch die Rentner, die mir in dem kleinen Park begegnen, der sich gegenüber dem Militärkrankenhaus befindet, sind hochinteressant. Ihre Falten, ihre grauen Haare, die milden, wässrigen Augen. Skizzen eines Schicksals, das ich zu entziffern versuche und doch nicht entziffern kann.
An das Militärkrankenhaus habe ich oft gedacht. Besonders nachts. Hier wäre ich diesmal nach Auskunft einer Ärztin eingeliefert worden, wenn die Sättigung sich unterhalb des Richtwertes „96“ eingependelt hätte. Sonntag- und Montagabend war es brenzlig. 91, 92, 93, …
Auf der Matratze liegend, fällt vieles ab. Ich dachte nicht an Schlagzeilen, Geld, Ruhm oder was sonst unser kleines Leben bestimmt. Ich dachte an das, was bleibt. Bleiben könnte. Und ich konzentrierte mich, so wie vor drei Jahren, auf das, was ich tun konnte: Wasser trinken, Medikamente nehmen und vertrauen. Keine einfache Übung.
Ich schaue auf die Hunde, die über die frostigen Grünflächen laufen, ja, geradezu rutschen, als hätten sie sich Schlittschuhe unter die Pfoten geschnürt.
Ein Anruf am Sonntag von AT:
– Ist alles gut?
– Warum?
– Ich habe von Dir geträumt.
– Was?
– Du warst in einem Gebäude mit langen, grauen Fluren – und in einem standst Du an der Wand und sahst verzweifelt aus.
– War ich am Leben?
– Ja.
– Das ist gut.
Ohne AO, die mir regelmäßig Wasser, Brot, Käse und Obst vor die Tür gestellt hat, hätte ich nicht die Kraft gehabt, um zu überleben, denke ich, und schaue auf den Schriftzug des Krankenhauses. Das Nato-Logo am Eingang, Flaggen, die sich nicht bewegen. Ist sie nicht das Wunder meines polnischen Lebens? Zwanzig Jahre nach der ersten Begegnung vor dem Kino in der Altstadt? Alpha und Omega.
Busse und Pkws fahren am Krankenhaus vorbei. Einzelne Passanten laufen durch das Eingangstor, andere kommen heraus. Pfleger, Ärzte, Besucher, Patienten – vom Park aus sind die Menschen und ihre Rollen nicht zu unterscheiden. Wir können immer alles sein. Auch die Rolle der Person, die es nicht schafft, lebend herauszukommen, wird vergeben.
Ich werde mir einen Tee kochen, wenn ich wieder in der Wohnung bin. Gleich. Und meine schnelle Gesundung feiern, auch wenn sie noch nicht ganz abgeschlossen ist. Anfang und Ende. Ende und Anfang.
Wieder eine persönliche Krankengeschichte: Covid II. Im Sommer dieses Jahres erfuhr ich von einer guten Freundin, die im selben Viertel in Warschau wohnt wie ich, dass in dem Militärkrankenhaus in Nähe meiner Wohnung 1996 Krzysztof Kieślowski gestorben ist. Ich war mir dessen nicht bewusst. Seltsamerweise.
Text: mee ©
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