Mitte der 00-er Jahre arbeitete ich als Pressereferent im Generalsekretariat einer Hilfsorganisation. Eine Großveranstaltung stand an, bei der Wolfgang Schäuble als Redner auftreten sollte. Ich fragte in seinem Büro an, ob der Minister nicht einen Abstecher zu einem Helferzelt machen könne. Für schöne Fotos und ein nettes, kurzes Gespräch. Der Pressesprecher sagte zu – unter einer Bedingung: „Bitte keine Diskussion darüber, wie andere Hilfsorganisationen neben dem THW in das … Konzept einbezogen werden.“ Gut, wird so gemacht.
Am Tag des Auftritts ging ich mit voller Sanitätsmontur, die ich selten trug, in der zentralen Veranstaltungshalle auf die Toilette und ließ dem Urinstrom freien Lauf. Ein Mann kam rein, stellte sich an das Pissoir zur Linken. „So muss das sein, Herr Meetschen. Geheimes Vortreffen auf der Toilette.“ Ich war irritiert. „Sie wissen, wer ich bin?“ „Es steht auf dem Rücken Ihrer Einsatzkleidung.“
Bald darauf kam der freundlich-kompetente Pressesprecher mit Wolfgang Schäuble zum Zelt. Eine lockere Begrüßung, Hallo, hallo. Schöne Fotos mit Logo und guter Laune. Kaum war der Fotograf weg, stürzten sich einige Verantwortliche auf den Mann im Rollstuhl, um ihm ihre Sicht auf das Konzept, um das es damals ging, zu erläutern. Nicht aggressiv, aber ganz klar gegen die Vereinbarung. Schäuble blieb ruhig, freundlich und antwortete ganz sachlich, sodass es zu einem Gespräch unter Gentlemen wurde. Sogar sein Pressesprecher, der mich zunächst angesichts der rhetorischen Belagerung leicht genervt angeblickt hatte, entspannte sich wieder und lachte mit.
Als der Austausch vorbei war, rückte plötzlich ein Radiojournalist an. Er hielt dem Minister das Mikrophon dicht vor den Mund und fragte forsch: „Was sagen Sie zum Tod von Paul Spiegel?“ Ich war vielleicht einen halben Meter von den beiden entfernt und sah, wie Wolfgang Schäuble sich für einen Moment in eine andere Sitzposition schraubte, dann sprach er mit ungeheurer Empathie und Präzision über die Leistungen und Verdienste des Verstorbenen – so, als hätte er in den vergangenen 30 Minuten nur an Spiegel gedacht. Dabei war das, was er sagte, nicht künstlich und kalt dahergesagt. Es hatte Stil und Substanz.
Text: mee ©
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