Bornholm-Blues

Foto: mee

Wir haben uns geirrt – damals, als wir den Tagesausflug nach Bornholm buchten. Wir dachten, es würde ein Vergnügen sein. Doch das war es nicht. Als wir den Hafen in Kołobrzeg verlassen hatten, reichte die Schiffscrew den Passagieren „Kotzbeutel“, so sehr schaukelte das Boot mit dem Namen „Jantar“ in den Ostseewellen.

Die polnische Reiseführerin im Bus erläuterte, warum es verboten sei, auf Bornholm Häuser zu bauen. Man müsse erst einmal nutzen, was frei sei. Das gefiel mir. Wir hatten bei unseren Autofahrten auf polnischen Landstrassen schon so viele unvollendete Hausbau-Projekte gesehen. Ruinen der Selbstüberschätzung.

Was haben wir gesehen in den wenigen Stunden auf der Insel? Eine Glasbläserei, wenn ich mich recht entsinne. Eine zerstörte Festung und eine rundliche, weiße Ordenskirche, die wie ein Unterschlupf für Wikinger wirkte. Nicht viel. Trotzdem habe ich den Ausflug nicht vergessen. Auch nicht die grauen Militärschiffe bei der Rückkehr, die geräuschlos an uns vorbeiglitten und wie Relikte aus der Zeit des Kalten Krieges wirkten. Wie ahnungslos wir damals waren. Die Bedrohung war uns noch nicht bewusst. Oder wir verdrängten sie.

Es war bereits dunkel, als wir wieder an Land gingen. Ich erinnere mich an den langen Weg zum Hotel. Vorbei am geschlossenen Postkarten-Stand („Jeder hat in seinem Leben sein Westerplatte-Erlebnis“), über die Gleise. Brachland. Auch das Frühstück in der Pension habe ich seltsamerweise nicht vergessen: den Salat und die schlichten Käsescheiben.

Niemand hat uns damals verstanden. Wir selbst uns auch nicht. Wir waren ein Team, gesegnet. Wir erlebten uns als untrennbar. Das gab uns Kraft und Halt. Einen Raum für Zweifel gab es nicht, weil es ihn nicht geben durfte.

Die Freitag-Krimis im Fernsehen, die theologischen Bücher – wenn ich die Welt von heute sehe, sehne ich mich manchmal nach dieser versunkenen Welt zurück. Wie auf eine Insel, die abseits von der Welt liegt. Etwas verborgen und versteckt. Mit eigenen Regeln und Ritualen.

Wir hatten einen weiten Blick auf Bornholm. Er war fast unendlich.

Text: mee ©

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