Deutschland-Ticket XV.

Foto: mee

„Es gibt kein Israel“, schrie der Mann in der U-Bahn, kurz nachdem ich an der Haltestelle Möckernbrücke eingestiegen war. Ich stand ihm direkt gegenüber. Sah ihm in die Augen. So wie er seinen Blick nicht von mir ließ.

Er mochte so alt sein wie ich, vielleicht etwas älter. Seine dunklen Augen waren aber nicht fanatisch, nicht aggressiv, obwohl er laut und deutlich sprach. Seinen Mund umspielte ein Lächeln des Triumphs. „Es gibt kein Israel, und es gab kein Israel“, setzte er seine Rede fort. „Es wird auch nie ein Israel geben. Wir sammeln uns nun alle, weltweit.“ Ich ließ meinen Blick durch den Waggon schweifen. Niemand sagte etwas. Alle schienen erschöpft zu sein. Die Hitze des Sommers, die Hitze des Tages. Die meisten spielten mit ihren Smartphones, andere redeten miteinander, keiner schien gehört zu haben, was doch nicht zu überhören war.

Mir gingen 1000 Gedanken durch den Kopf. Sätze, Argumente. Doch bevor ich etwas sagen konnte, meldete sich eine junge Frau, die in Nähe des Mannes stand, zu Wort. Sie trug ein Palästinensertuch. Sie sprach auf Arabisch, wie ich vermutete. Der Mann verstand sie. Sie lächelten sich beide an. Dann sagte die junge Frau: „Natürlich hat es Israel nie gegeben.“ Der Mann nickte. „Allah!“, schrie er plötzlich und zeigte mit einem Finger nach oben, als wolle er mir erklären, wo die Sphäre des Göttlichen zu finden sei. Er war noch nicht fertig: „Merkel hat nicht Gott, Trump hat nicht Gott – wir haben Allah. Jetzt ist die Zeit. Krieg ist gut. Wir sind schon lange im Krieg. Nicht nur zwei Jahre wie diese Schwächlinge in der Ukraine.“ Ich spürte, wie immer mehr Wut in mir aufstieg, doch ich sagte nichts. Schaute ihn nur an, überlegte, ob ich in meinem Portemonnaie ein jüdisches Symbol mit mir trug, dass ich ihm zeigen konnte – aus stillem Protest.

Doch ich wusste, dass ich kein solches Symbol mit mir trug. In der Wohnung, im Büro hatte ich einiges, doch nicht hier, wo mir ein Diskurs mit Argumenten sowieso nicht möglich schien. Ich fühlte mich hilflos.

So hilflos wie am vergangenen Wochenende, als ich von einem Sonntagsausflug zurückgekommen war und nicht in meine Wohnung konnte, weil die Polizei die Strasse davor weiträumig abgesperrt hatte. Der indische Wirt, zu dem ich ging, um die Wartezeit zu überbrücken, hatte etwas von einer „Messerattacke“ gehört. Nicht die erste. Bereits vor einem Jahr sei jemand nicht weit von meiner Wohnung erstochen worden. Meine Berliner Mietwohnung befindet sich in Wilmersdorf.

Als ich die U-Bahn verließ, überlegte ich, ob ich dem begeisterten Antisemiten etwas sagen solle zum Abschied. Ich verzichtete darauf. Hatte er mich lediglich provozieren wollen? Meinte er es nicht so? Und die junge Frau? Nein, Beschwichtigen half nicht. Er hatte vom Krieg gesprochen und so hatte es sich auch angefühlt. „Es gibt kein Israel.“ Seine Worte waren Waffen, seine irregeleitete Sehnsucht galt dem Blut von Menschen einer anderen Religion.

Text: mee (c)

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