Für Bernhard Müller
Ich habe ein Faible für Widerstandsgruppen: Kreisauer Kreis, Weiße Rose, Solidarność. Ich könnte stundenlang Erzählungen über konspirative Treffen lauschen, geheime Informationsübergaben oder dramatische Fluchten vor dem Überwachungsapparat. Es mag daher kommen, dass ich nie in einer Diktatur gelebt habe, aber einige Geschichten des christlichen Widerstands ganz gut kenne. Über ein frühes Opfer der Hitler-Diktatur, den Journalisten Fritz Gerlich, habe ich vor einigen Jahren eine Biographie geschrieben – außerdem war ich beteiligt an einem Fotobuch über den mutigen polnischen Franziskanerpater Maximilian Kolbe, der von den Nazis verfolgt und ermordet wurde.
Im Hof des Berliner Bendlerblocks zu stehen, wo vor 80 Jahren Claus Schenk Graf von Stauffenberg und andere Verschwörer des 20. Juli erschossen wurden, hat mich deshalb nicht kalt gelassen. „Es lebe das Geheime Deutschland“ sollen die letzten Worte gewesen sein, die wie ein Echo des Stefan-George-Kreises über den Hof hallten. Henning von Tresckow, der eigentliche Master Mind des gescheiterten Attentats und Staatsstreiches, brachte sich tagsdarauf nordöstlich von Warschau um. Aus Verbundenheit mit den anderen und weil er wusste, dass das Regime ihn nicht am Leben lassen würde. Es waren Männer und – wie eine aktuelle Sonderausstellung in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand eindrucksvoll zeigt – Frauen von großem Mut, Gewissen und einem zum Teil modernen Staatsverständnis, die sich gegen das totalitäre Unrecht, die systemische Lüge und ein pervertiertes Bild vom Menschen stellten.
Besser als Helmuth James Graf von Moltke kann man es kaum sagen: „Die letzte Bestimmung des Staates ist es daher, der Hüter der Freiheit des Einzelmenschen zu sein. Dann ist es ein gerechter Staat.“
Stauffenbergs Tat fand zehn Jahre nach der Ermordung von Fritz Gerlich statt. Wie die Geschwister Scholl scheint der Beau des Widerstands nicht auf Anhieb die dämonische Abgründigkeit es „Dritten Reiches“ durchschaut zu haben. Er brauchte länger. Doch dann handelte er an exponierter Stelle umso entschiedener. Mag die Mission, die er verfolgte, auch schiefgelaufen sein. Derartige Aktionen sind kein Fußballspiel, bei dem es glückliche Gewinner oder tragische Verlierer gibt.
Was die Verschwörer des 20. Juli gemacht haben, wird immer als Heldentat in Erinnerung bleiben. Sie haben sich aus Ehrgefühl und Verantwortung dem schier grenzenlosen Bösen entgegengestemmt. Der Verwirrung, dem Unheil, der blutigen Anmaßung.
Ich habe nicht den Wunsch, einmal in eine ähnliche Situation zu geraten. Es imponiert mir, wenn ich die vielen Gesichter der Widerstandskämpfer sehe, wie sie in individueller Weise und als Team ihren Weg gingen. Nicht immer war er gerade, oft taktisch gebrochen oder verzögert. Manche gehörten unterschiedlichen weltanschaulichen Lagern an. Sie setzten auf verschiedene Mittel: Wort, Tat, Aufklärung.
War es damals einfacher, auf der richtigen Seite zu stehen als heute, da vieles, was derzeit auf dem Planeten passiert, so verworren und komplex wirkt? Wie ein Kampf von Böse gegen Böse, Grau gegen Grau, Kultur gegen Kultur? Ich habe darauf keine schnelle Antwort. Ich finde, dass Moltkes Identifizierungs-Kriterium hilfreich sein könnte: wo auf der Welt sind Staaten, die „Hüter der Freiheit des Einzelmenschen“ sind? Vielschichtige Lektüre hilft wohl bei der Antwort. Wenn man dann noch (im Einklang mit dem Heiligen Geist) das eigene Gewissen regelmäßig prüft und bittet, dass es einen zur Wahrheit führt, gibt es vermutlich Chancen, die Übel seiner Zeit richtig zu erkennen und einzuordnen – und zu widerstehen.
Text: mee (c)