Delon und ich

Foto: mee

„Rocco und seine Brüder“, „Vier im roten Kreis“, „Nur die Sonne war Zeuge“ – ich kann nicht sagen, dass der Schauspieler Alain Delon (1935-2024) mich besonders beeindruckt hätte, als ich seine wichtigsten Filme vor vielen Jahren zum erstenmal sah. Die bösartigen Figuren, die er meistens verkörpert, entwickeln sich nicht. Sie sind durchtrieben vom Anfang bis zum Ende. Die Ursache dafür liegt natürlich nicht bei ihm, sondern im Drehbuch.

Was Delon beisteuert ist sein glattes Gesicht und die stechenden Augen. Charisma, Leinwandpräsenz. Doch so mysteriös er als Bösewicht auch wirkt – er schien für mich nie ein Mensch mit Geheimnis zu sein. Höchstens ein arroganter Schönling mit einigen Frauen auf dem Gewissen. Allen voran Romy Schneider, die ihn geradezu abgöttisch liebte, und die Delon kalt abservierte.

Nachdenklich machte mich ein guter Freund, als er mir vor einigen Jahren ein Foto des jungen Delon zuschickte, auf dem der Mime am Tisch einer festlichen Gesellschaft sitzt. Umringt von schönen Frauen, Champagner und Delikatessen blickt er gelangweilt auf die Tischdecke, als würde er lieber an einem einsamen Ort sein. „Das bist Du“, schrieb der Freund, was in mir dann doch ein gewisses Geschmeicheltsein hervorrief. Eine entfernte Ähnlichkeit mit Delon? Dagegen kann man nichts einwenden. Doch der Freund meinte etwas anderes, ohne es genau zu benennen. Weltekel, Isolation, Autismus?

Es vergingen ein paar Jahre. Während der Pandemie, zum 40. Todestag von Romy Schneider, schaute ich mir bei arte ein Porträt Delons an, in dem seine Lebensgeschichte erzählt wurde: Die Einsamkeit als Kind und Jugendlicher. Die Härte gegen sich selbst. Ein Hang zu Unfug und Affären, Rastlosigkeit und Flucht. Bei dem Betrachten dieses Porträts wurde mir Delon als Mensch mit seinem inzwischen faltig-zerknitterten, melancholischen Gesicht sympathisch, und ich begann, besser zu verstehen, was der Freund gemeint haben könnte, als er mir das Foto schickte mit dem knappen Kommentar: „Das bist Du.“

Seit mehr als einer Woche ist Alain Delon tot. Ich habe mir einiges in den Medien über ihn angeschaut und gelesen („Mythique“ – Paris Match). Dass er auf seinem Anwesen eine eigene Kapelle hatte und sich ein katholisches Begräbnis gewünscht hat, inmitten seiner 35 Hunde, finde ich stimmig. Ebenso seine umstrittenen politischen Anschauungen als französische Nationalikone seiner Generation.

Sein Leben umweht trotz allen Erfolgs ein tragischer Zug, weil er nicht bei der Frau bleiben konnte, die er liebte. Er verdankte ihr zuviel. Romy Schneider und Alain Delon – vielleicht begegneten sie sich auch einfach zu früh. So verbrannten sie sich gegenseitig in der Sonnenzeit ihres Lebens.

Seltsamerweise wurde ich, als ich Ende August in Polen war, erneut in die Nähe von Delon gerückt. Von einer Person, der man nachsagt, den sechsten Sinn zu haben. Die Person kennt mich nicht gut. Aber ausreichend gut genug für solche Vergleiche?

Die wiederholte Zuschreibung gibt mir jedenfalls zu denken. Stammen wir alle aus einer großen Seelen-Matrix und erfüllen lediglich die zum Schicksal gehörenden Funktionen des jeweiligen Typus?

Ich habe auf diese Frage keine Antwort, aber ich nehme mir vor, Alain, zukünftig aufmerksamer durch die verbleibenden Drehtage meines Lebens zu gehen. Leidenschaftlicher und konzentrierter. Eine Entwicklung sollte immer möglich sein.

Foto: mee

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