Normalerweise steige ich nicht am Nordbahnhof aus. Diesmal bot es sich an. Ich kam von einer Veranstaltung in Nähe des Brandenburger Tores und stieg zur S-Bahn-Haltestelle Brandenburger Tor herab. Das Navi empfahl die Fahrt bis zum Nordbahnhof plus Fussweg.
Sofort spürte ich bei diesem Bahnhof, dass etwas anders war. Weniger Menschen. Keine Menschen eigentlich. Das allein war es nicht. Was dann? Die Frakturschrift an den weiß-grauen Wänden? Die Zeit hier schien eingefroren zu sein. Ich hatte den Eindruck, als ich zum Ausgang Richtung Bernauerstrasse ging, dass mir jeden Moment ein SS-Mann oder eine Gestapo-Staffel entgegentreten könnte. Eine gespenstische Vorstellung und keine ganz Falsche, wie mir durch eine an einer Säule befestigte Tafel klar wurde: „Grenz- und Geisterbahnhöfe im geteilten Berlin“.
Hier am Nordbahnhof im Ostteil der Stadt war die Westberliner S-Bahn all die Jahrzehnte der Teilung vorbeigerauscht. Von einer Westhaltestelle zur nächsten. Anhalten verboten.
Hatte ich das vor Urzeiten nicht auch mal erlebt? Mir angeschaut als Passagier? Vielleicht. Wahrscheinlich aber nicht. Oder doch – aus Neugier im Oktober 1989? Es sind die Dinge, die aus dem Vergessen wieder aufsteigen, die wichtig sind. Das hatte der Schriftsteller gesagt, dessen Lesung in Nähe des Brandenburger Tores ich besuchte.
Text: mee ©