Lang ist es her, dass ich in Weimar war. Nun bin ich auf dem Weg zur Sonderausstellung „Bauhaus und Nationalsozialismus“. Der Andrang von Journalisten bei der Eröffnungspressekonferenz ist riesig. Ich finde einen Platz neben einem Mann im mittleren Alter, der sich als Korrespondent des „Guardian“ herausstellt. Ich deute eine andächtige Verbeugung an. Seit mir eine verunglückte britische Bekannte die Zeitung Ende der 1990er Jahre empfahl, ist die Zeitung neben der BBC meine mediale Brücke nach England. Charles hat kurz nach dem Brexit die irische Staatsbürgerschaft angenommen und sein Land Richtung Frankreich verlassen. Das ist mir sympathisch. Ich sage ihm, dass ich vor einigen Jahren nach Polen geflüchtet bin. Meine seit der Kindheit existierende Anglophilie verschweige ich dezent. Es ist harter Stoff, den wir zu hören und zu sehen bekommen. Charles ist beeindruckt, wie gründlich die Deutschen ihre schmutzige Vergangenheit aufarbeiten. Ihre Verstrickungen. Er wünscht, die Engländer täten es auch.
Im Schiller-Museum, in dem die Schicksalswege der Bauhauskünstler erläutert und zum Teil aufgedeckt werden, frage ich mich, wie ich mich in der Nazi-Diktatur verhalten haben würde. Hätte ich die vorgeschriebene Gesinnung angenommen? Hätte ich Widerstand geleistet? Geschwiegen? Ich weiß es nicht. Statistisch gesehen spricht viel für Mitläufertum. Charles sagt mir, dass er noch einen Abstecher nach Polen machen wird und dass ihn eine Deutsche, als sie davon erfuhr, seltsam angeguckt habe. „Die alte Arroganz?“ frage ich; er nickt.
Als ich zum Bahnhof zurückgehe, winke ich den nationalen Dichterfürsten zu, die meinen Gruß mit liebevollem Desinteresse erwidern. Am Theatergebäude hinter ihnen prangt ein Spruchband: „Diplomatie! Jetzt! Frieden!“
Ob Goethe und Schiller dies bei aller Humanität unterschreiben würden? Ich gelte in manchen Kreisen als „Kriegstreiber“, weil ich die militärische Unterstützung der Ukraine auch zwei Jahre nach dem russischen Überfall für richtig halte und mir das Herumeiern des Bundeskanzlers unverändert übel aufstößt. Dass ausgerechnet diejenigen, die auf der Seite Putins sind, sich als Friedensengel verstehen und inszenieren können, gehört zu den deutschen Verwirrnissen unserer Zeit.
Text: mee