Neulich war ich wieder für ein paar Tage in meiner Datsche in den masowischen Wäldern – und mit dabei war mein Kater Żiżi. Obwohl Żiżi nach dem Philosophen Żiżek benannt wurde, ist er doch ein eigenständiger Denker. Oft liegt Żiżi auf der Gartenbank, schaut in den Himmel oder beobachtet das Treiben anderer Tiere auf der Wiese oder den Bäumen. Dabei ist seine Miene stets gezeichnet von einem energischen Wissen-Wollen. Żiżi ist kein Staunender, kein Träumer. Man hat, wenn man seinen forschenden Blick auf sich wirken lässt, den Eindruck, dass Wahrheit und die Durchdringung von Wirklichkeit seine Passionen sind. Żiżi meint es ernst – mit allem. Dabei hat er aber stets etwas Abgeklärtes, Besonnenheit Austrahlendes. Kein Wunder, dass Immanuel Kant sein Lieblingsphilosoph ist. Auch auf dem Land braucht Żiżi eine feste Essensroutine. Er mag auf diesem Gebiet keine Abweichungen, keine Überraschungen. Man kann morgens die Uhr stellen nach seinem Appetit.
Dabei ist für Żiżi aber die Freiheit das höchste Prinzip. Er hat mir das oft erklärt: zum Beispiel, wenn er sich dorthin bewegt, wohin er will und sich dort niederlässt. Er mag es nicht, wenn Fremde ihn streicheln möchten. Er lässt sich ungern in den Arm nehmen und tragen, obwohl er auch sehr charmant sein kann. Wenn er etwas will, Futter oder Zuneigung, reibt er sein Köpfchen an mein Bein oder drückt es in meine Handflächen hinein. Das heißt dann: ich will etwas, gib‘ es mir, aber schnell.
Manchmal zeigt Żiżi mir, wie toll er etwas kann: dann springt er hoch in die Luft oder stürmt den Stamm eines Baumes hinauf. Dann muss ich schon schwärmen: Super, Żiżi. Super hast Du das gemacht. Obwohl ich nie so richtig den Sinn seiner Aktionen erkennen kann. Er fängt keine Vögel, jagt keine Mäuse. Żiżi agiert gern zweckfrei. Das reine Umsonst ist für sein Denken konstitutiv.
Als ich am Ende des Aufenthaltes im Wald meine Sachen in den Wagen verstaut hatte und nur noch Żiżi fehlte, um abfahren zu können, ließ sich mein kleiner, schwarzer Katzenphilosoph wie gewohnt nicht fangen. Er verschanzte sich hinter den Büschen. Wenn ich ihm zu nah kam, sprang er blitzschnell davon. Ich konnte sein edles Fell nur kurz streifen, aber ihn nicht in den Griff kriegen und in den Reisekäfig sperren. Ärgerlich schaute ich ihn nach diesen vergeblichen Fangversuchen an. „Die wichtigste Aufgabe für Dich als meinen Besitzer ist es, meine Freiheit zu schützen“, sagte Żiżi und schaute mich mit seinen kalten grünen Augen vorwurfsvoll an. Ich protestierte: „Mag sein, aber auch Deine Freiheit muss sich an Spielregeln halten. Da wir nicht für immer hierbleiben können, musst Du Dich fügen und mit mir ins Auto.“ Was ich sagte, beeindruckte ihn nicht. Er leckte sein Pfötchen. „Ändere die Spielregeln. Ich fühle mich hier im Garten wohl. Ich will nicht zurück in die Stadt.“ „Andere Katzen leben auch in der Stadt“, rechtfertigte ich mich. Doch Żiżi hielt dagegen: „Das ist kein Argument. Das Ziel ist die Selbstverwirklichung des Individuums, nicht die Gleichheit oder Gleichmacherei.“ Ich schaute gen Himmel, wo sich dunkle Gewitterwolken aufeinandertürmten und näher kamen. „Du kannst ja hierbleiben, Kater Individuum, und sehen, wie Du Deine Freiheit verteidigst. Viel Erfolg bei der Jagd, es fängt gleich an zu regnen.“ Doch das Wetter schien Żiżi nicht zu interessieren. Er kaute gelangweilt auf einem Grashalm. „Du musst mir dienen. Das ist die erste Abmachung.“ Er war nun doch leicht echauffiert. „Okay, Żiżi. Ich denke darüber nach, wie mein Leben Deiner Selbstverwirklichung dienlicher sein kann.“ Dabei dachte ich aber an Tierheime und Annoncen. Er schien es zu spüren. Im Auto blickte er mich von der Rückbank ernst an. Als würde er mich zu hypnotisieren versuchen. Keine Tricks, kein Tierheim – beim nächsten Landausflug bleibe ich hier. Das könnte der Blick bedeutet haben. Oder: ich muss mich keiner Willkür beugen – ich bin frei.
Text: mee