
Sie nannten mich Inspektor. Weil ich immer so genau war. Ja gut, wenn ich etwas getrunken hatte, fuhr ich am nächsten Tag nicht. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Doch diesmal wollte ich nur eins: nach Hause zu meiner Frau nach Stettin und zu meinem Sohn. Freunde treffen. Weihnachten. Deshalb war ich so schnell. Ich kannte die Strecke ja. Von Turin nach Berlin. Stahlrohre abladen.
Die Deutschen sind natürlich auch immer sehr korrekt. Super-Inspektoren. Weiß man ja. Ich sei zu früh, sagte man mir bei Thyssen-Krupp. Ich solle Dienstag wiederkommen.
Erst wollte ich protestieren, aber dann habe ich mir gedacht: was hilft es? Das ist Deutschland. Ordnung muss sein. Bist Du zu früh, bist Du selber schuld, musst Du eben warten. Wenn ich denen gesagt hätte, dass ich noch ein Geschenk für meine Frau besorgen muss, die hätten wahrscheinlich nur gelacht. Weihnachten. Geschenke. Habe ich mir also erst mal einen Döner genehmigt. Bei uns in Polen gibt es auch Döner, aber die Berliner machen ihn besser.
Ich gebe zu: ich aß gerne was, wenn ich mit dem Sattelschlepper unterwegs war. So ein Döner, der schmeckte mir immer gut. Und nicht nur Döner. 120 Kilo. Jetzt steht es in allen Zeitungen. Na ja. Aber deshalb hatte ich auch Kraft, konnte mich wehren.
Um 15 Uhr habe ich bei meiner Frau angerufen. Wollte ihre Stimme hören. Die Arme. Sie arbeitet als Buchhalterin. Viel Geld verdient man damit nicht. Jedenfalls nicht in Polen. Ich wollte ihr etwas Schönes sagen. Wenn ich gewusst hätte, dass es unser letztes Gespräch sein wird, hätte ich mich noch mehr angestrengt. Aber ich glaube, die Liebe hat sie schon gespürt. Man ist als Mann halt nicht so weich. Obwohl, wenn man so viel auf den Straßen unterwegs ist, wie ich es war mit meinen 37 Jahren, dann macht man sich schon seine eigene Philosophie. Man denkt nach. Über das Leben, den Sinn von dem allen. Irgendwie sind wir Polen ja auch alle Philosophen.
Und Helden. Als solcher werde ich jetzt offensichtlich angesehen. In meiner Heimat, aber sogar in Deutschland. Das ist nett, aber viel habe ich nicht davon. Meine Frau auch nicht. Geld würde ihr mehr helfen. Ich hoffe, es gibt irgendwo einen Politiker, der ihr hilft. Schöne Worte genügen nicht. Mir ist wichtig, dass aus meinem Sohn etwas wird. Er soll nicht auch noch dafür büßen, dass ich nicht mehr da bin, weil ich die Stahlrohre zu früh nach Berlin gebracht habe.
Es ist übrigens seltsam, wenn man tot ist. Man kriegt alles noch mit. Den Wirbel, die Aufregung über den Anschlag, aber es ist nicht so laut hier. Nicht so hektisch. Ich sehe den Mann, der mich erschossen hat, und er tut mir sogar leid, weil er nichts begriffen, nichts verstanden hat. Ich sehe aber auch die anderen Opfer, die auf dem Markt waren. Irgendwie waren unsere Leben miteinander verknüpft, obwohl wir uns vorher nie begegnet sind. Vermutlich wären es noch mehr Opfer, wenn ich nicht ins Lenkrad gegriffen hätte. Das musste ich einfach machen. Es hat weh getan. Der Typ hat wild mit dem Messer herumgefuchtelt und mich geschnitten. Ein paar Mal. Irre! Dabei wusste er nicht mal, wie man den Scania fährt. So ein Anfänger. Und dann hat er mich erschossen. Peng!
Und deshalb kann ich Weihnachten nicht bei meiner Familie sein. Ich habe kein Geschenk mehr gekauft. Ich sehe sie, aber sie sehen mich nicht. Sie weinen, sie sind traurig. Besonders meinem Vater geht es sehr schlecht. Was kann ich machen? Ich muss mich noch an die neuen Regeln gewöhnen, die hier herrschen. Ich sitze nicht mehr am Steuer. Es ist alles noch etwas ungewohnt für mich. Manchmal möchte ich den Blinker setzen oder den Gang runterschalten. Ich werde mich an den Himmel gewöhnen.
Dezember 2016
Text: mee ©
In Erinnerung an den polnischen Lkw-Fahrer Łukasz Urban, der am 19. Dezember 2016 in Berlin bei einem terroristischen Anschlag ermordet wurde.
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