„Operation Samowar“

Foto: mee

Wenn ich den Samowar am Eingang zur Bibliothek sehe, muss ich stets etwas schmunzeln. Ich war frisch in Polen angekommen und hatte mich allzu schnell in den Hafen der Ehe bugsieren lassen, als ich hörte, dass Ciocia (Tantchen) Bożena dem neuen, glücklichen Paar unbedingt einen ihrer vielen Samoware schenken wolle. Einzige Bedingung: wir müssten sie und ihren über 100 Jahre alten Mann in seiner Altbauwohnung in der Warschauer Innenstadt besuchen.

Das klang gut. Sofort hatte ich russische Romanhandlungen des 19. Jahrhunderts vor Augen, in denen Samoware zum romantischen Inventar gehören. Die Helden bedienen sich dieser Selbstkocher, um sich aufzuwärmen und beim Tee zu entspannen, so wie heute moderne Helden und Fernfahrer an den Espressomaschinen der Autobahntankstellen. Warum also nicht? Der nächste kalte Winter kommt bestimmt, dachte ich.

Doch so einfach sollte die „Operation Samowar“ nicht über die Bühne gehen. Der 100-jährige polnische Kriegsveteran hasste nämlich zwei Personengruppen: Priester und Deutsche. Priester, weil sie seiner Erfahrung nach Weicheier an der Front gewesen waren, und Deutsche aus Gründen, die man nicht weiter erläutern muss.

Meine Bemerkung, ich würde phänotypisch doch nicht dem Stereotyp der „blonden Bestie“ entsprechen, wurde zustimmend zur Kenntnis genommen, überzeugte aber nicht völlig: „Du musst Dich als Engländer ausgeben. Als Alliierter, das geht.“ Zu Befehl.

So betraten wir wenig später die beeindruckende Wohnung von Ciocia Bożena in Śródmieście. Ungefähr 15 Samoware hatte sie gelagert. Woher sie sie hatte, verbot sich zu fragen. Schnell wählten wir ein Exemplar aus: Goldfarben mit dunklen Schuppen. Ein Samowar, der erst einmal ordentlich poliert werden musste.

Dann kam der militärische Teil des Besuchs. Ihr sehr alter Mann war – es mochte gegen Mittag sein – gerade aufgestanden und schlurfte nun durch die Wohnung. So, wie es sich für einen Veteranen gehört. Sofort nahm ich, Stephen, als ich ihn sah, Haltung an und grüßte ihn mit einem Dialekt, der so übertrieben britisch war, dass ihn jeder Engländer sofort als fake entlarvt hätte. Doch die Chance hatte der polnische Veteran nicht, weil Ciocia Bożena sofort das Kommando übernahm und redete und redete und redete, dass jeder Widerstand zwecklos war. Zum Glück.

Zufrieden traten wir mit unserer Beute die Fahrt aufs Land an, wo der Samowar bis heute seinen Ehrenplatz hat.

Wenige Jahre nach diesem etwas bizarren Transfer klingelte das Telefon. Es war Ciocia Bożena: Völlig überraschend war ihr inzwischen wohl 110 Jahre alter Mann aus dem Leben gerissen worden. Unfassbar. Das Requiem war für den nächsten Donnerstag angesetzt. In der Alexanderkirche am Drei-Kreuze-Platz. Einem Pantheon-ähnlichen Gebäude. Nicht sehr weit vom Sejm entfernt.

Der Himmel war grau. Es regnete. Doch aus Respekt vor meinem Waffenbruder zog ich meinen besten Anzug an – sogar mit Krawatte. Ich erinnere mich nicht mehr an Details der Predigt, aber es war eine lange Liste von militärischen Verdiensten, die der Verstorbene vorweisen konnte. Ciocia Bożena lauschte dementsprechend feierlich und ergriffen.

Ob dem Priester jemand gesagt hatte, dass der Verstorbene gegenüber seiner Berufskaste zeitlebens eine große Abneigung verspürt hatte? Vermutlich nicht. Wahrscheinlich hat Ciocia Bożena ihn bei der Vorbereitung als treuen Sohn der Kirche präsentiert. Damit die Fassade stimmt.

Doch was klage ich. Solange steht der Samowar nun schon hier mit seinem prächtigen Glanz und ist noch nie benutzt worden. Worauf warte ich also? Höchste Zeit, ihn zum Kochen zu bringen, bevor die Russen kommen, um ihn abzuholen.

Text: mee ©

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