Refugium des Schreibens

Foto: hsc

Die Weiten der Uckermark wirken wie ein grüner Teppich, auf dem sich Pferde, Katzen und Vögel vergnügen. Menschen sieht man hier weniger, doch der Mann, den ich besuche, hat sich ganz bewusst hierhin zurückgezogen. Er wollte nicht länger in Berlin leben, „wie ein Schwein, das sich an der Eiche reibt“.

Sein Haus am See ist das ideale Refugium. Mag ihm seine Ex-Ehefrau auch vorwerfen, er habe sich „abgeseilt“. Steckt in dieser Bemerkung nicht die gekränkte Eitelkeit, dass er sie nicht mehr braucht? Vielleicht nie gebraucht hat? Er hat seinen Frieden mit der Trennung gemacht, mag er zuvor auch wiederholt um die Ehefrau gekämpft haben. Jede Partnerschaft hat ihre verschiedenen Nuancen. Unbewusste Abhängigkeiten, Rache-Mechanismen.

Bei Kaffee und Kuchen sprechen wir über Politik und Literatur. Wie inhuman Parteien sind, die von Ideologen geführt werden, wie notwendig für Romane die Ambivalenz ist, der Schwebezustand von Gut und Böse. Der Schriftsteller darf nicht für ein Kollektiv schreiben. Nicht Politik machen. Nicht ausgrenzen. Ernst Jünger habe unterschieden zwischen dem Anarchisten, der Bomben wirft, und dem Anarchen, der die Gesellschaft durch sich hindurchgehen lässt.

Der Schriftsteller, der diese Bezeichnung verdient, lässt alles und alle durch sich hindurchgehen: alle Geschlechter und Religionen, alle sexuellen und politischen Orientierungen, alle Hoffnungen und Ängste, Verbrechen und Liebestaten. Er verurteilt nicht, sondern fühlt sich ein in seine Figuren, er kennt die menschliche Verzweiflung, die Abgründe und kämpft um jeden Sonnenstrahl für die Seele.

Wir sprechen über Bekannte, bemüht, ihnen gerecht zu werden – mit Licht und Schatten. Integrität als der geglückte Versuch, die eigenen Widersprüche zu kennen und zu verbinden. Wir hören die Frösche, die vor Lust so laut quaken, dass man sich kaum verständigen kann.

Der Siegeszug des Feminismus, das Phänomen der männlichen Selbstkastration. Postkolonialer Neokolonialismus. Die Möglichkeit der Häutung, wenn die Festlegungen zu eng werden.

Es beginnt zu regnen. Wir ziehen uns in die Gartenlaube zurück. Wein, Käse. Den Anglerschein bekommt man hier schon fast nachgeworfen, auch das Baden im See sei wohltuend. Dieses Jahr regne es viel, sagt der Mann, welcher der Hauptstadt den Rücken gekehrt hat. Ob ich nicht auch ein Haus habe – bei Warschau? Ja, antworte ich, mitten im Grünen. Fern von Schmutz und Lärm.

Auf dem Bahnsteig beim Abschied umarmen wir uns. Zwei Männer, die eigene Vergänglichkeit immer dichter vor Augen. Zwei Menschen, welche die meiste Zeit ihres Lebens allein am Schreibtisch verbracht haben. Auf eigenen Wunsch, weil es nicht anders geht. Geschützt und verloren im Refugium des Schreibens.

Text: mee ©

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