Wieder zurück: 1000 Kilometer. Abfahrt am Morgen. „To die by your side is such a heavenly way to die“ im Autoradio, während die Sonnenstrahlen die Windschutzscheibe zum Glänzen bringen. Erinnerungen, Träume. Die 80er Jahre. Schülerbands, Führerschein.
Je länger man fährt, desto tiefer reist man in sein Leben. Zwischendurch Luftschnappen. Nachrichten, Gegenwart.
An der Tankstelle verliere ich Zeit. Wie immer. Dumpfe Gestalten. Dickbäuchig. Selbstzufrieden und ungepflegt.
Doch so großartig wie früher fühlt sich der Moment, da ich die Grenze überschreite, nicht mehr an. Ich weiß es selbst: ich bin beidseitig desillusioniert.
Der erste Stau ist schnell überstanden. Der zweite dauert länger, und als ich endlich an dem schwarzen, verunfallten Fahrzeug vorbeikomme, ganz langsam, das quer zur Fahrtrichtung steht und eine große Delle in die Leitplanken gedrückt hat, staune ich über die zierlichen Frauenbeine am Vordersitz. Sie gehören einer Frau, deren Oberkörper und Gesicht ich nicht erkennen kann. Ich sehe nur die Beine. Bewegungslos. Während ein Fotograf, den die Polizisten frei agieren lassen, um das Fahrzeug herumläuft und Aufnahmen macht. Fotoshooting des Todes.
Als ich abends ankomme, sehe ich trotz der vielen Lichter der Großstadt immer noch die zierlichen Frauenbeine vor meinem inneren Auge, und ich frage mich, aus welchem Leben die Verunglückte herausgerissen wurde. Was ihr wichtig war. Worauf sie sich freute. Am Morgen.
Oder war es eine Statistin, die dem Unfallfotografen nur zur Seite stand, um die Geschehnisse zu rekonstruieren? Ich weiß es nicht. Eigentlich spielt es auch keine Rolle. Der reale oder der gespielte Tod unterscheiden sich, wenn man genau hinschaut, nur wenig voneinander.
Noch einmal lege ich die CD rein. Der Song, den ich soviele Jahre kenne und von dem Licht, das nicht ausgeht, erzählt, hat einen neuen Klang bekommen. „Well, the pleasure – the privilege is mine.“
Text: mee ©
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