Foto: mee

Ich kann nicht vergessen, wie wir eines Nachts über den Autobahnabschnitt fuhren, der noch nicht eröffnet war. Wir erkannten es erst, als keine Umkehr mehr möglich war. Es war die Zeit, als wir uns im alten Ford über die Landstraßen quälen mussten, wenn wir in mein Herkunftsland fuhren. Im Wagen gab es keine Ventilation, dafür waren wir ständig im Visier der altertümlichen Radarkästen, die in jedem Straßendorf standen. Wohl schon seit den Tagen der Volksrepublik.

Woher nahmen wir nur die Kraft? Das Durchhaltevermögen? 

Ich erinnere mich: Jede graue Ruine am Wegesrand brachte mein Herz zum Klopfen. Die Luft in Schlesien war stickig, doch das Atmen fiel mir leicht. Endlich frei. Als hätte ich mit Deutschland eine Last abgeschüttelt, die mir schon viel zu lang auf Seele und Schultern lag.

Jede kleine, renovierte Brücke nahm ich als Beweis dafür, dass Deine Heimat aufsteigen würde. Du sagtest nichts. Schwiegst diplomatisch. Doch irgendwann fingst Du an, mir zuzustimmen. Zunächst zurückhaltend, dann selbstbewusster.

Auf den Autobahnen ist mittlerweile viel Verkehr, doch gelegentlich wähle ich erneut die Landstraße. Ich übernachte im Motel U Olka – nicht weit entfernt von der Grenze. Es gibt dort immer noch das gleiche spartanische Frühstück wie damals: Eine Tasse Kaffee, Käse, Schinken, Butter und üppige Brotscheiben. Dazu Rührei. Jajecznica. Im Fernsehen läuft eine Nachrichtensendung. Mal dreht sich die Berichterstattung um eine russische Rakete oder eine neue polnische Regierung. Mal stimmt man die Zuschauer auf Weihnachten ein.

Mein Koffer steht neben dem Tisch. Ich weiß nur nicht, in welche Richtung ich fahren soll. Oder doch?

(Januar 2024)

Text: mee ©

Newsletter

Abonnieren Sie meinen Newsletter.
Folgen Sie mir auf dem Weg meines Schreibens.