Warszawa, mon amour

Weiße Jeans, schwarzes T-Shirt und graumeliertes Haar. Der Mitreisende im Berlin-Warszawa-Express mit dem kolossalen Silberkoffer erinnerte mich an einen in die Jahre gekommenen Rockstar, und als wir ins Gespräch kamen, zeigte sich, dass er auch so lebte. Er sei vor ein paar Tagen von Houston nach Heathrow geflogen, dann habe er ein Treffen mit seiner Frau in Berlin gehabt: Besuch der Jean Paul Gaultier-Show im Friedrichstadtpalast. „Super, super.“ Vier-Sterne-Hotel. Etwas schmutzig. Zuviele Migranten. In Deutschland gehe alles runter. Nun drei Wochen Polen, seine Frau sei schon da – erst Poznań, dann Toruń. Dann zurück in die Staaten, um sich einbürgern zu lassen, vorher aber noch eine Oper in Verona. Es sei schön, mal wieder Zug zu fahren.

Nicht unbedingt der Typ von Mensch, mit dem man gern ein Gespräch führt, doch ich hörte weiter zu. Erfuhr von einem Madonna-Konzert („Super, sie hat viel für LGBTQ gemacht“), wie man Sägen aus Stahl produziert, warum Karol (inzwischen hatten wir unsere Namen ausgetauscht) lieber wieder in Florida und nicht in Texas leben würde. Aber auch, dass Jerusalem ganz toll sei („Super!“), Donald Trump hingegen sehr schlecht und dass es sich lohne, auf den Spuren von Maria von Magdala durch Südfrankreich zu ziehen. Als ich ihm sagte, dass ich dies schon länger vorhatte, nickte Karol nur und verkündete: „Ich werde nicht in Polen zur Kirche gehen, aber in den Vereinigten Staaten tue ich es.“

Am Tag danach feierte Polen seine 20-jährige EU-Mitgliedschaft. Viele Menschen waren auf der neuen Brücke, die nach Praga führt und den Strassen Warschaus unterwegs, viele Flaggen (EU und Polen) wehten. Auch in der Altstadt, wo ich das Grab eines Freundes besuchte und ihm einen ganzen Sack von Anliegen auf die Gebeine donnerte. Schließlich sah ich eine Mega-Bühne auf dem Piłsudski-Platz, die in vielen Farben glitzerte: ein Jubiläums-Konzert mit polnischen Popsternchen wie Kayah oder Brodka stand auf dem Programm. „Dobrze, że jesteśmy razem“ (Gut, dass wir zusammen sind).

Ich war gut gelaunt, als ich das Konzert nach 15 Minuten verließ und den immer dunkler werdenden, leuchtend blauen Stadthimmel betrachtete. Dabei wusste ich nicht, wieso eigentlich. Die oberflächlichen Feierlichkeiten allein konnten es nicht sein.

Was dann? Die Stadt wirkt auf mich deutlich sauberer und gepflegter als Berlin. Die Atmosphäre ist optimistischer. Vitaler. Nicht so bedrückend und unkontrolliert. Spinner und Chaoten gibt es jedoch überall.

Ich kann nicht an vielen Orten sagen, dass ich dort glücklich bin. In Warschau bin ich es. Gut, dass wir zusammen sind.

Text: mee ©

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