Mittags bei Bowie

Foto: mee

Es ist Sonntagmittag. Ein bißchen schwül. Ich schlendere durch Schöneberg. Einige Türken sitzen draußen an Tischen, reden miteinander oder telefonieren. Ein paar Deutsche, leicht verwahrlost gekleidet, drängt es zum Bäcker. Doch behäbig, ohne Stress. Es ist diese typische Trägheit Westberlins, die ich schon als Student schätzte. Die geradezu etwas dörfliches hat. Mag an jeder Ecke auch die Weltgeschichte Spuren hinterlassen haben. Dort drüben hielt Kennedy seine berühmte Rede, hier lebten Einstein und Benn. In der Strasse etwas weiter runter wohnte Kafka – und noch weiter in diese Richtung David Bowie.

Vor dem Haus in der Hauptstraße 155, in dem der „Thin White Duke“ Ende der 1970er residierte (mit Iggy Pop im Hinterhof), steht – als ich komme – ein fülliger Blondschopf um die 60 mit schwarzem Jeansanzug und blickt andächtig verloren. Boris Johnson in geheimer Mission? Nein, es ist der Manager von „Echo & the Bunnymen“, der mir mit Inbrunst davon erzählt, wie er David Bowie einmal kurz die Hand reichen und ihm in die Augen schauen durfte. „This was the highlight of my career“, sagt er mit ernster Stimme. Er stammt aus Liverpool, wo man mit der PR-Balsamierung von Rock-Legenden Erfahrung hat. Hier ist nur eine schlichte Tafel am Haus angebracht. Der Hinweis auf die „Berliner Trilogie“, die Alben „Low“, „Lodger“ und „Heroes“, Geburts- und Sterbedatum. „Underground-Style“, findet der Manager, der seine älter gewordene Band bei ihren Gigs durch Westeuropa begleitet. Der Sänger sei auch ein großer Bowie-Verehrer. Ich biete dem Manager an, ihn zu fotografieren. Dafür ist er dankbar. Ich platziere ihn so, daß man die Graffiti-beschmierte Eingangstür sehen kann und nicht den Laden mit Gesundheitsartikeln, der die Hausfassade eigentlich prägt. „Imagine that Bowie was walking in and out here“, sagt der Manager fassungslos. Ich stelle es mir vor, wobei ich es schwierig finde, mir den sehr blassen, sehr mageren Bowie vorzustellen, der einer Heroin-Leiche glich – das Bowie-Bild der letzten Lebensjahre schiebt sich vor die Personen, die er in der Zeit seiner ersten großen Erfolge verkörperte. So kann man es wohl formulieren. Erst in den 2010er Jahren nahm der geniale Sänger und Songwriter mit den verschiedenfarbigen Augen meines Erachtens Fleisch an. „Where are we know?“, die Erinnerung an Berlin, drückte Melancholie, Vergänglichkeitsgefühle aus. Mit dem letzten Album stemmte er sich wie ein verzweifelter Lazarus ohne Freund gegen das Todesurteil. Und überraschte als Meister des Wandels die Welt mit dem ultimativen Wandel, seiner Sterblichkeit.

Als der Manager sich freundlich verabschiedet, rücken bereits die nächsten Pilger an: eine Frau um die 40, Jugendliche. Der Bann ist ungebrochen. Doch was suchen sie hier? Die Flüchtigkeit eines längst vergangenen Moments? Ein Berliner Graceland? Ich blicke auf eine Bar in Nähe des Hauseingangs, die ziemlich marode wirkt. Viele Bowie-Poster hängen dort, wie in einem Friseursalon der 1980er Jahre, doch Gäste oder ein Besitzer sind nicht zu sehen. Eine versandete Touristenfalle? Damals, als Bowie hier lebte, taten die Vermieter alles, seine Identität geheim zu halten, um nicht ständig Fans vor der Tür zu haben und sicher auch, um den Mieter einer 7-Zimmer-Wohnung nicht zu verlieren. Jetzt wohnt, wie ich im „Tagesspiegel“ lese, eine mehrköpfige türkische Familie in der Wohnung. Am Eingang findet sich der Hinweis auf eine Zahnarztpraxis. Vielleicht ist Charisma nicht so sehr eine übernatürliche, magische Kraft als vielmehr eine Leere, eine offene Stelle, welche anderen Menschen erlaubt, ihre Sehnsüchte auf diese zu projizieren. Ikonen funktionieren nach diesem Prinzip. Totems. David Bowie war trotz seiner künstlerischen Fähigkeiten und beeindruckenden Bühnenpräsenz so eine offene Stelle. Ein Spiegel, in dem sich Million Menschen selbst betrachten konnten. Im Rahmen eines häufig entrückten Ideal-Ichs. Er führte den Tanz mit der Gegenwart im Rhythmus der schnell wechselnden Stile und Moden an. Dabei fühlten wir uns wie Königin und König und sollten dies auch – nur für einen Tag, bis heute.

Text: mee ©

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