Warschau, Mai 2025

Foto: mee

Es ist gut, wieder hier zu sein. Ich bin dankbar für viele Begegnungen in Berlin im vergangenen Jahr. Doch ich habe mich dort nicht mehr wohlgefühlt. Zu viel Kontrolle, zu wenig Vertrauen.

Was mich heute an Polen fesselt, ist nicht mehr die postkommunistische Melancholie, die mich vor 25 Jahren angezogen hat – dieses schroffe Nebeneinander von Traurigkeit und Aufbruch. Heute ist es die Modernität, die Klarheit, die Ordnung. Züge, U-Bahnstationen, Straßen – alles wirkt durchdacht und sauber. Kein Vergleich mit deutschen Großstädten, wo sich Gleichgültigkeit breitmacht.

Vor allem aber: Ich spüre hier Freiheit. Nicht im großen, pathetischen Sinn. Sondern im Alltag. Der Staat schreibt mir nicht jede Bewegung vor. Ich kann leben, wie es mir entspricht. Das ist viel.

Gleichzeitig sehe ich, dass die Spaltung der polnischen Gesellschaft weitergewachsen ist. Tusk gegen Kaczyński – ein Dauerkonflikt, der auch die Präsidentschaftswahl prägt. In der ersten Runde lag Rafał Trzaskowski (KO) knapp vorn. Doch Karol Nawrocki, der konservative Historiker mit PiS-Rückhalt, könnte am 1. Juni in der Stichwahl gewinnen – gestützt von jenen, die am 18. Mai rechtsradikal wählten.

Viele Polen sind erschüttert über das starke Abschneiden antisemitischer Kräfte. Ich auch. Nicht nur, weil es mich an deutsche Verbrechen erinnert, die hier vollzogen wurden. Sondern weil es an etwas rührt, das ich weltweit mit tiefer Sorge verfolge: die Wiederkehr des Antisemitismus.

Was mich besonders schockiert: Er kommt nicht mehr nur von rechts. Er kommt auch von links – verhüllt in moralischem Vokabular, in akademischer Rhetorik. Und er kommt arabisch-islamistisch daher – teils offen, teils geduldet. Die deutschen Universitäten, einst Orte geistiger Aufklärung, sind heute Schauplätze antisemitischer Parolen. Jüdische Studenten werden bedroht, Veranstaltungen gesprengt. Der Staat schaut zu – oder weg.

Ich will meinen polnischen Freunden keine Empfehlungen geben. Dazu habe ich als Deutscher kein Recht. Und sie brauchen sie auch nicht. Ich kann nur sagen: Macht es besser. Tappt nicht in die gleichen Fallen. Lasst euch nicht einreden, dass Hass differenziert sei. Oder dass Freiheit nur für manche gilt.

Polen war und ist nicht perfekt. Aber es ist wach.

Text: mee

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