Autor: Stefan Meetschen

  • Bornholm-Blues

    Bornholm-Blues

    Wir haben uns geirrt – damals, als wir den Tagesausflug nach Bornholm buchten. Wir dachten, es würde ein Vergnügen sein. Doch das war es nicht. Als wir den Hafen in Kołobrzeg verlassen hatten, reichte die Schiffscrew den Passagieren „Kotzbeutel“, so sehr schaukelte das Boot mit dem Namen „Jantar“ in den Ostseewellen. Die polnische Reiseführerin im…

  • Deutschland-Ticket (XV)

    Deutschland-Ticket (XV)

    „Es gibt kein Israel“, schrie der Mann in der U-Bahn, kurz nachdem ich an der Haltestelle Möckernbrücke eingestiegen war. Ich stand ihm direkt gegenüber. Sah ihm in die Augen. So wie er seinen Blick nicht von mir ließ. Er mochte so alt sein wie ich, vielleicht etwas älter. Seine dunklen Augen waren aber nicht fanatisch,…

  • Der Lüge widerstehen

    Der Lüge widerstehen

    Für Bernhard Müller Ich habe ein Faible für Widerstandsgruppen: Kreisauer Kreis, Weiße Rose, Solidarność. Ich könnte stundenlang Erzählungen über konspirative Treffen lauschen, geheime Informationsübergaben oder dramatische Fluchten vor dem Überwachungsapparat. Es mag daher kommen, dass ich nie in einer Diktatur gelebt habe, aber einige Geschichten des christlichen Widerstands ganz gut kenne. Über ein frühes Opfer…

  • Dreimal sehe ich Dich

    Dreimal sehe ich Dich

    Dreimal sehe ich Dich. Vor langer Zeit, als Du durch den Garten sprangst. Dort, wo nur Wildwuchs war und unser Haus stehen sollte. Vorfreude, auch in der Stadt. In der Wohnung, wie ein Mädchen, gespannt, welche Überraschungen wohl kommen mögen. Hopsend, auf einer Stelle. Was kam? (Brandstaetter, mein Brandstaetter) In Saska, als wir uns wiedersahen,…

  • Transit/Tranzyt

    Transit/Tranzyt

    Ich sitze in einer leeren Wohnung. Ein Stuhl, ein Tisch und kein Haus.Welcher Dämon hat mich veranlasst, zu gehen? Worauf warte ich hier? Ich könnte meinen Kopf gegen die Wand schlagen und würde keine Antwort finden. Nur der Gedanke an dich hält mich am Leben. Keiner weiß, wie die Kriege weitergehen werden. Wie weit sich…

  • Gespräche mit Żiżi

    Gespräche mit Żiżi

    Neulich war ich wieder für ein paar Tage in meiner Datsche in den masowischen Wäldern – und mit dabei war mein Kater Żiżi. Obwohl Żiżi nach dem Philosophen Żiżek benannt wurde, ist er doch ein eigenständiger Denker. Oft liegt Żiżi auf der Gartenbank, schaut in den Himmel oder beobachtet das Treiben anderer Tiere auf der…

  • Der Schuster von Grochów

    Der Schuster von Grochów

    Er ist nicht mehr da: der Schuster in meinem Viertel in Grochów, zu dem ich in den vergangenen Jahren gelegentlich meine Schuhe brachte. Meistens im Herbst, wenn das Wetter rauer wurde und die Lederschuhe eine Auffrischung brauchten. Der Laden, in dem der große, alte Mann mit dem grauen Haarschopf die Schuhe winterfest machte, steht leer.…

  • Deutschland-Ticket (XIV)

    Deutschland-Ticket (XIV)

    Schließlich habe ich mir doch ein Deutschland-Ticket besorgt. Beim Kartenschalter am Alexanderplatz. Der Mann, der es mir ausgehändigt hat, stammt aus Nigeria. Als ich ihn auf Widersprüche bei meiner Anschrift aufmerksam machte (die Meldeadresse stimmte noch nicht mit der neuen Anschrift überein), ließ er die rechte Hand lässig zusammenklappen, um meine Bedenken zu zerstreuen. „Das…

  • Refugium des Schreibens

    Refugium des Schreibens

    Die Weiten der Uckermark wirken wie ein grüner Teppich, auf dem sich Pferde, Katzen und Vögel vergnügen. Menschen sieht man hier weniger, doch der Mann, den ich besuche, hat sich ganz bewusst hierhin zurückgezogen. Er wollte nicht länger in Berlin leben, „wie ein Schwein, das sich an der Eiche reibt“. Sein Haus am See ist…

  • Verlassene Pietà

    Verlassene Pietà

    Ich stand ihr stets mit einer gewissen Kühle gegenüber. Mit innerem Abstand. Auch mit äußerer Distanz. Ich mochte es nicht, wenn sie mit mir über die Schule, Bücher und das Weltgeschehen sprechen wollte. Wenn sie mich bewunderte oder in ihrer Absicht zu formen versuchte. „Lehrer wäre ein guter Beruf für Dich.“ Was ich spürte, war…